SWIPE des Monats Juni

Beobachtet man aufmerksam die Berichterstattung in den Medien, kommt man an den Meldungen über die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz nicht mehr vorbei. Die Befürchtungen und Erwartungen sind groß: Die einen haben das Gefühl, Frankenstein ist Wirklichkeit geworden, die anderen sehen sich bereits den ganzen Tag in der Hängematte liegen, während die KI ihre Arbeit erledigt. Schon gibt es erste TikTok-Videos von Jugendlichen mit dem Titel Nie wieder Hausaufgaben. Da nützt es auch nichts, wenn der bayerische Kultusminister sich in Interviews gegen die Abschaffung von Hausaufgaben positioniert. Gegen die KI ist kein Kraut gewachsen.

Aber was kann diese KI eigentlich? Sie kann Gedichte schreiben, Einladungen verfassen, Bewerbungen entwerfen, Rechenaufgaben lösen oder eigene Bilder erzeugen. All das kann sie, denn sie weiß auf Grund von Wahrscheinlichkeiten, welches Wort am häufigsten auf das vorhergehende folgt, welche Kameraperspektive berühmte Fotograf*innen mutmaßlich wählen würden oder welche Diagnose für die Patient*innen bei der Analyse der Anamnese am wahrscheinlichsten erscheint.

Ja, alles ist berechenbar. Nur ich nicht. Nie steige ich an der Stelle in die U-Bahn ein, die mir bei der Ankunft am Zielbahnhof den kürzesten Weg zum Ausgang verschafft. Nie schaffe ich es, den sehr ordentlich geschriebenen Einkaufszettel der besten Ehefrau von allen fehlerfrei abzuarbeiten: Da landet nur einer statt der zwei notierten Hefewürfel im Einkaufwagen; das richtige Tonic Water mitzubringen habe ich erst nach fünf Anläufen geschafft; und mit der Großpackung Dinkelvollkornmehl bringe ich meine Frau zur Verzweiflung, die auch gerne einfach wieder mit Weizenmehl backen würde. Da lösche ich aus Versehen von der Festplatte die Serie Blindspot, da ich Blindensport gelesen habe und dachte, das wäre die alte Aufzeichnung des BR-Berichtes über unsere Fußball-Blindenreportage. Mein überaus schlechter Orientierungssinn führt mich auf immer neuen Wegen zu Orten, an denen ich zwar schon oft war, aber jedes Mal aufs Neue vergesse, wie ich hingekommen bin.

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